Eine richtige Orgel hat Pfeifen

Wer hat beim Stichwort „Orgel“ nicht sofort lauter wunderbare Orgelansichten vor Augen, bei denen die Orgelfront im Wesentlichen mit den oft symmetrisch aufgestellten Prospektpfeifen gestaltet wird. „Aufgereiht wie die Orgelpfeifen“ - klingt das nicht nach wunderbarer Ordnung?

Wenn Sie dann aber doch mal die Gelegenheit haben, in das Innere einer Orgel hineinzuschauen, dürften Sie völlig verwirrt sein von der Vielfalt der Pfeifenformen, deren unterschiedlichen Materialien und dem scheinbaren Durcheinander der Aufstellung der zahllosen Pfeifen. Selbst bei unserer vergleichsweise kleinen Bordenauer Bethmann-Orgel mit ihren „nur“ 936 Pfeifen füllt es auch mir als Laien schwer, in diesem Wirrwarr ein Ordnungssystem ihrer Aufstellung zu erkennen. Entsprechend ihren 17 Registern verfügt unser Instrument über 17 verschiedene Pfeifenarten, knapp 200 von ihnen aus Tannenholz, die übrigen aus „Orgelmetall“, also verschiedenen Legierungen von Zinn und Blei. Abgesehen von ihrem meist konischen, nach unten hin sich verjüngendem Aufstellungsfuß sind sie oft zylindrisch gerade wie z.B. die strahlenden Prospektpfeifen; andere öffnen sich trichterförmig (Trompete), manche werden nach oben hin enger, wie z.B. das sanftere Gemshorn (Foto). Etliche Pfeifen sind oben mit einem Deckel („gedackt“) verschlossen - dadurch klingen sie 8 Töne (eine Oktave) tiefer. Bis auf zwei Register jedoch funktionieren sie alle nach dem gleichen Klangprinzip: Wie bei einer Blockflöte entsteht der Ton an der entscheidenden Stelle, wo der vom Orgelfuß aus nach oben strömende Luftstrom durch eine schmale Spalte auf eine Holz- bzw. Metallkante („Labium“) gelenkt wird. Ab hier also schwingt und klingt bei diesen „Labialpfeifen“ die Luftsäule. Unsere kürzeste Pfeife (Sifflöte 1´) ist nur einen Zentimeter lang - Sie würden diesen Ton (falls Sie ihn überhaupt hören!) vielleicht als schrille Hundepfeife bezeichnen. Unsere längste Pfeife (Subbass 16´) ist aus Holz, etwa 2,5 Meter lang, und wird nicht mit der Hand („Manual“) sondern mit dem Fuß („Pedal“) gespielt. Ihren sehr tiefen, brummigen Ton empfinden Sie wahrscheinlich als ein angenehm warmes Gefühl im Magen. Nur bei zwei „Zungen“-Registern entsteht der Ton so ähnlich wie bei der Mundharmonika, indem ein sehr dünner Messingstreifen (Foto) auf eine seitlich flach offene Hohlkehle vibrierend aufschlägt. Mit dem senkrecht angebrachten Messingdraht („Stimmkrücke“) wird dieses Register (Trompete) gestimmt.

Der unschätzbare musikalische Wert dieser Pfeifenvielfalt liegt in ihren vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten. Die Kunst des Organisten besteht nun darin, die unterschiedlichen Klangfarben so zusammenzumischen, dass er damit die Vielfalt der in der Musik schlummernden Emotionen hervorzaubert. Ein Meisterkoch würde ergänzen: „Nur mit guten Zutaten kann man ein wirklich gutes Essen hervorzaubern!“. Erst kürzlich wurde erkannt, dass noch ca. 80 % der originalen alten Pfeifen vom „Chefkoch“ Christian Bethmann stammen.

Hanns Stahmer