Eine geschichtliche Rückblende zum „Instrument des Jahres 2021“
Können Sie sich eine Kirche ohne eine Orgel vorstellen? Ich nicht! Orgeln und Kirchen gehören zusammen wie ein Amen und ein Gebet. Auf der ganzen Welt werden Gläubige beim Gesang im Gottesdienst von Orgeln begleitet. Die Orgel ist zum Inbegriff für Kirchenmusik geworden. Doch das war nicht immer so!
Erfunden wurde die Orgel schon etwa im 3.Jahrhundert v.Chr. in Alexandria, also im heutigen Ägypten. Schon zweihundert Jahre später erlebten Orgeln eine erste Blüte. Selbst von ersten Orgelwettbewerben existieren frühe Zeugnisse.Die Orgeln der Antike waren jedoch noch sehr klein. Manche der allerkleinsten Instrumente besaßen nur eine einzige Pfeifenreihe, sodass man sie sogar auf einem Arm halten konnte (Foto). Mit der anderen Hand spielte man einstimmig auf dieser Portativ-Orgel (lat. portare = tragen). Andere frühe Orgeln wurden oft im Theater, im Zirkus und sogar auf den Schlachtfeldern (!) verwendet, also in einem völlig anderen Kontext. Kurze Zeit später wurde die Orgel zum Statussymbol in Rom. Der römische Kaiser Nero importierte die Orgel nach griechischem Vorbild ins Römische Reich. Für 1000 Jahre blieb die Orgel nun oft auch ein Prestigeobjekt, selbst dann noch, als der Stern des römischen Reiches zu sinken begann. Dennoch leistete sich jeder Kaiser, der etwas auf sich hielt, weiterhin eine Orgel zusammen mit dem dazugehörigen Orgelspieler. So war es auch zu den Mahlzeiten beispielsweise in Konstantinopel gang und gäbe, sich von Orgelmusik unterhalten zu lassen. Die Tischmusik kam also von der Pfeifen-Orgel! Dem Orgelspieler stellte man zugleich auch noch einen Sklaven an die Seite, damit dieser die Luftbälge trat.
Mit dem Beginn des Mittelalters häufen sich die überlieferten Informationen zur Geschichte der Orgel. Belegt sind beispielsweise zwei frühe Instrumente, die im Jahre 757 und 812 n.Chr. in Europa auftauchen: Der fränkische König Pippin III. bekam von den Gesandten des byzantinischen Kaisers als Gastgeschenk eine Pfeifenorgel geschenkt. Wenig später ließ Ludwig der Fromme von einem venezianischen Orgelbauer ein Instrument für die Kaiserpfalz in Aachen bauen. Zu dieser Zeit begann allmählich auch die wichtige Entwicklung der zunächst überwiegend weltlich eingesetzten Instrumente hin zur liturgisch genutzten Kirchenorgel. Dieser für uns heute so leicht nachvollziehbare Schritt war jedoch anfänglich mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Oft lehnten Geistliche die Kirchenorgel deshalb ab, weil sie ihnen zu weltlich und zu sinnlich erschien. Doch ab dem 13. Jahrhundert vermehrten sich die Orgelbauten auch in den Kirchen. Schon im 14. Jahrhundert befinden sie sich zunehmend in den meisten großen Kirchen.
Der Siegeszug des Orgelbaus ist in der Neuzeit nicht mehr zu stoppen. Orgeln werden immer größer und prächtiger. Viele europäischen Länder entwickeln dazu ihre eigenen Besonderheiten, sodass wir heute charakteristische klangliche Unterschiede feststellen, wenn wir beispielsweise ein spanisches, ein italienisches, ein französisches Instrument hören. In diesem edlen Wettstreit der Orgelbauer spielen auch unsere hiesigen Meister wie z. B. der mitteldeutsche Gottfried Silbermann oder der norddeutsche Arp Schnitger eine bedeutende Rolle. Auf Schnitger beziehen sich bereits die Erbauer unserer Bordenauer Orgel. Hierüber lesen Sie mehr im nächsten Gemeindebrief. Auf dem Bild:Schnitgers Orgel von 1692 in Groningen. DerSiegeszug des Orgelbaus wäre undenkbar, wenn nicht immer wieder großartige Organisten und Komponisten, wie z. B. Johann Sebastian Bach, mit ihrer Musik zur Weiterentwicklung der Kunst des Orgelbaues entscheidend beigetragen hätten. Wer kennt nicht das bekannteste Orgelstück der Welt: Bachs Toccata und Fuge in d-Moll! Wie so oft schreiten auch hier die Fortentwicklung der Musik und der Fortschritt im Instrumentenbau gemeinsam voran. Bis heute ist der Klang der „Königin der Instrumente“ etwas Besonderes! Er hebt uns aus dem Alltag heraus. Die Orgel gibt vor, wie wir mit voller Kraft Gott loben und preisen können. „SOLIDEO GLORIA“: zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen!
Hanns Stahmer