Der hannoversche Orgelbauer Christian Bethmann
Die 1821 in der Bordenauer St.Thomaskirche neu entstandene einmanualige Orgel stammt vom „Hoforgelbauer Bethmann in Linden“, wie er selbst gelegentlich unterschreibt (Foto).
Um den in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Hannover tätigen Orgelbauer Christian Bethmann richtig würdigen zu können, sollen deshalb zunächst die Wurzeln und die Herkunft seines Könnens genannt werden. Schon Bethmanns Vater Wilhelm Heinrich Bethmann (auch „Baethmann“) betrieb eine Orgelbauwerkstatt in Hannover-Linden, 1802 entstand seine letzte Orgel für Dannenberg. Da der am 21. August 1783 in Hannover Linden geborene Orgelbauer Christian Bethmann mit seinen Instrumenten weitgehend die Kunst seiner Lehrmeister übernahm und fortsetzte, wird hier zunächst die ihn prägende bedeutsame Schule des norddeutschen Orgelbaus skizziert.
Die norddeutsche Orgellandschaft ist besonders reich an einzigartigen und bedeutenden Instrumenten der letzten Jahrhunderte. Nicht erst seit dem 300. Todestag des berühmten Erbauers von über 100 Orgelneubauten in Nordeuropa gilt der Name Arp Schnitger(1648 - 1719) hierzulande als der „Stradivari der Orgel“. Die Hauptwerkstatt dieses Vollenders der norddeutschen Barockorgel befand sich seit 1681 in Hamburg. Hier entstanden zahllose stilbildende Belege der norddeutschen Orgelschule. Der Bau-Auftrag einer neuen Orgel für die dortige St. Nikolaikirche begründete Schnitgers internationalen Ruhm, galt doch dieses viermanualige Instrument mit seinen 67 Registern seinerzeit als das größte Instrument der Welt.
Schnitgers Gesellen setzten seine Orgel-Tradition in Nord- und Mitteldeutschland fort, unter ihnen auch der hannoversche Orgelbauer Christian Vater sen. (1679 - 1756). Über fünf Jahre lernte er in der Hamburger Schnitger-Werkstatt, bis er sich mit einer eigenen Werkstatt in Hannover 1702 selbstständig machte. Seine erste Orgel lieferte er 1703 nach Hannover-Langenhagen. 1708 wurde er in Hannover zum Organisten an die Neustädter Hof- und Stadtkirche St. Johannis berufen. Vaters Doppelfunktionen als Hoforganist und Orgelbauer verhalfen ihm zu rascher Berühmtheit. Er lieferte ins hannoversche Kurfürstentum, nach Osnabrück und ins Oldenburger Land. Auch die Schlosskirche in Darmstadt und die Oude Kerk in Amsterdam erhielten durch seine guten Kontakte hannoversche Instrumente. 1716/17 waren durch seine Arbeit bereits 33 Orgeln teils neu gebaut, teils renoviert. Bei der Festlegung der unterschiedlich klingenden Pfeifenregister („Disposition“) und selbst bei den Orgelgehäusen tradierte er das bei Schnitger Erlernte. Hierüber sind wir heute bis in die genauesten Einzelheiten seiner Instrumente dank des umfangreichen Werkstattbuches (Foto)informiert, dass er 1697 noch bei seinem einflussreichen Lehrherren Schnitger begann und bis zu seinem Tode fortschrieb. In diesem einzigartigen Buch finden sich auf fast 300 großformatigen und oft eng beschriebenen Seiten zahlreiche Dispositionen, Orgelangebote, Pfeifenmensuren, Diagramme, Materiallisten, Kostenaufstellungen, eine Lohnabrechnung für wahrscheinlich 13 Mitarbeiter, eine Werkzeugtabelle und vieles andere Interessante mehr. Ziehen wir zur Einschätzung so vieler Orgelbauer nur deren Instrumente als Zeugnis heran, so liegt uns mit Christian Vater Seniors Werkstattbuch ein Kompendium der damaligen Orgelbaukunst vor, welches das oben Gesagte eindrucksvoll belegt: Orgelbauer fallen nicht geniehaft „reif“ vom Himmel, sondern sie lernen lebenslang und reichen glücklicherweise oft ihr erworbenes umfangreiches Können an ihre Nachfolger weiter. Im vorliegenden Fall wird dieses Tradieren sogar noch von den Nachfolgern fortgesetzt: Sowohl der Sohn Christian Vater jun. als auch dessen Schwiegersohn Christian Bethmannschreiben in zwei Folgebänden entsprechend der vorgegebenen Form die Entwicklung des Orgelbaus in Hannover und Hannover-Linden fort. Auch sie berichten detailliert über die unzähligen Kostenvoranschläge, Dispositionen, Materialkosten, Reparaturaufträge, Zeichnungen etc. Das Detailfoto aus dem Werkstattbuch zeigt Bethmanns „Maße des Orgelgehäuses zu Bordenau“ undbelegt die ursprünglich seitliche Position (!) des Spieltisches: „Die Claviatur muß an der Orgel zur rechten Seite zu liegen kommen“. Der für die Orgel der Bordenauer St.Thomas-Kirchenverantwortliche und für uns deshalb so bedeutsame Christian Bethmannwirkte als Hoforgelbauer in Hannover-Linden. Dort setzte er die Orgelbautradition auf der Grundlage der von seinen Vorgängern erlernten Meisterschaft fort. Die Zahl seiner Orgel-Neubauten ist vergleichsweise gering. Den ersten Orgelneubau fertigte er 1815 für Hannover-Limmer. Aus dem oben genannten und von ihm fortgeschriebenen Werkstattbuch geht hervor, dass er „nebenbei“ auch Clavichorde und Cembali baute. Neben Reparaturen, dem „täglichen Brot“ eines Orgelbauers, können dem in Linden tätigen Christian Bethmann bis heute nur 12 Instrumente nachgewiesen werden; dazu gehören u.a. Instrumente in Braunschweig (St. Petri und Dom St. Blasii, 1819), Winsen/Aller, sowie die Orgel aus dem Jahre 1827 für die St. Aegidienkirche in Hannover, die 1880 nach Engelbostel-Langenhagen verkauft wurde.
Somit ist unser 1821 gebautes Bordenauer Instrument zu Bethmanns mittlerer Schaffensperiodezu rechnen. Die 12 Jahre später in Posthausen/Verden gebaute Orgel zählt zu seinen letzten Arbeiten. In vielerlei Hinsicht ist sie unserem hiesigen Instrument so ähnlich, dass sie wichtige Hinweise für die geplante Rekonstruktion unserer Orgel liefern kann. Nachdem auch die Posthausen-Orgel mehrere Umbauten „erlitten“ hatte, konnte sie schon 1991 immerhin auf den Zustand von 1881 umfassend zurückgebaut werden und galt lange Zeit als das einzige erhaltene spielbare Bethmann-Instrument. Nun hat sich aber nach sorgfältiger Inspektion in jüngster Zeit herausgestellt, dass auch in unserer Bordenauer Orgel noch ungemein viel originales Bethmann-Material vorhanden ist. Wir schätzen gegenwärtig, dass hier trotz diverser Überarbeitungen noch etwa 80 % aller Pfeifen originale Bethmann-Pfeifen sind! Im nächsten Kapitel zur Rekonstruktion unserer St.Thomas-Orgel erfahren Sie, wie diese verschiedenartigen Pfeifen aussehen und wie sie klingen. Anlässlich Bethmanns frühem Tod fasste die Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung vom 18.Dez. 1833 dessen Leben in einem kleinen Nachruf zusammen (s. Foto).
Hanns Stahmer